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Müssen wir alle agil sein?

Die digitale Revolution erhöht die Geschwindigkeit in unseren Prozessen - in allen Bereichen – ausnahmslos. Innovation, Agilität und Veränderungsbereitschaft werden eingefordert. Zahlreiche Konzepte und Modelle werden propagiert und versprechen viel – zu Recht?

Wie können erfolgreiche Unternehmen diesem Anpassungsdruck begegnen? Design Thinking, Konzepte zu Agile-Leadership und weitere innovativ anmutende Ansätze gibt es viele. Was ist sinnvoll und wie kann das mit der deutschen Unternehmens-DNA realisiert werden? Eine Frage drängt sich auf: War alles falsch, was wir bisher in Deutschland gemacht haben? Nein – mit Sicherheit nicht. Dafür spricht der weltweite Erfolg deutscher Unternehmen. Die deutsche Unternehmens-DNA ist ein Erfolgsmodell und wird es bleiben, wenn die Forderungen nach Agilität, Innovation und Veränderungsbereitschaft richtig in die deutsche Unternehmensrealität übersetzt werden.

Agil

Die Verantwortlichen stehen hier vor einer großen Herausforderung: An welchen Stellschrauben sollen sie ansetzen, ohne die Stabilität zu schwächen und Unsicherheit zu fördern?

Veränderungen in der Unternehmensumwelt, induziert durch globalen Wettbewerb, Allverfügbarkeit von Informationen und eine neue Art der Kommunikation wirken unmittelbarer und zeigen, dass die klassischen Optimierungswerkzeuge, die Wettbewerbsvorteile schaffen, immer öfter an ihre Grenzen stoßen. Den Wettbewerbsvorteil hat nicht der, der eine noch besser ausgeklügelte Wettbewerbsstrategie oder ein optimiertes Beschaffungswesen entwickelt, sondern der sich adaptiv an die neuen Herausforderungen anpasst und mit ihnen sorgsam umgeht. Es geht nicht mehr um strikte Aufgabenerfüllung und absolute Regeltreue der Mitarbeiter. Auch die gut strukturierte und auf Output getrimmte Produktion kann nicht das nachhaltige zukunftssichernde Erfolgsrezept sein. Es greifen neue Erfordernisse des Marktes, der dem Kunden eine viel zentralere Rolle zukommen lässt, der dem Kundenwunsch nach Partizipation, Mit-Gestaltung und Individualisierung Rechnung trägt.

Was versprechen moderne Ansätze wie Agilität und Design Thinking?

Die Produktlebenszyklen haben sich drastisch reduziert, die Geschwindigkeit ist enorm. Es geht heutzutage mehr darum, das tatsächliche Kundenbedürfnis zu ermitteln. Das bedeutet, der Kunde muss frühzeitig in die Entwicklung von Produkten und Dienstleitungen eingebunden werden, um am wahrlichen Puls der Zeit bleiben zu können.

Design Thinking ist eine Herangehensweise, die geprägt ist von iterativen Prozessen. Wichtig ist, den Kunden nicht danach zu fragen, welche Lösung, welches Produkt, welche Dienstleistung er sich konkret wünscht, sondern seine Bedürfnisse herauszufinden. Kennt man das Bedürfnis, so können Lösungen gefunden und Produkte entwickelt werden. Ein treffendes Zitat von Henry Ford: "Wenn ich die Menschen gefragt hätte, was sie wollen, hätten sie gesagt: schnellere Pferde." Die Geschwindigkeit und die Gefahr von kostenintensiven und lähmenden Fehlentwicklungen wird so minimiert. Schließlich wird der Kunde nicht einmalig befragt, sondern entlang des kompletten Entwicklungsprozesses; Nachjustierungen und Anpassungen sind so jederzeit möglich.

Ein ernstzunehmender Impuls kommt auch von neuen Generationen von Mitarbeitern, den viel zitierten Millienials und der nachfolgenden Generation. Andere Anforderungen an das Leben, den Arbeitgeber und die Führungskräfte werden gestellt: Vertrauen, Flexibilität, Work-Life-Balance und der Wunsch zur Selbstorganisation und freien Gestaltung werden eingefordert. Sind transaktives und transformationales Führen damit überholt? Eine Antwort zeigt sich in einem neuen Führungsansatz, der sich auch gut mit der gesteigerten Forderung nach Agilität und Innovation verknüpfen lässt, der Ambidextren Führung, die die bestehenden Ansätze so erweitert und anpasst, dass sie den neuen Anforderungen gerecht werden.

Ambidextre Führung – worum geht es hier?

Nach der Wortbedeutung geht es hier um das Führen mit beiden Händen. Gemeint ist die Fähigkeit, mittels Führung neue Potentiale zu entdecken, Kreativität und somit neue Ideen zu fördern, während vorhandene Potentiale stabilisiert und weiter ausgeschöpft werden. Mit der einen Hand, den öffnenden Verhaltensweisen (z.B. Raum für eigene Ideen geben, Autonomie gewähren, Risiken und Fehler zulassen und positiv bewerten), fördert die Führungskraft Innovationspotential und neue Ideen, während sie mit der anderen Hand, den schließenden Verhaltensweisen (z.B. Routinen etablieren, Fehler vermeiden) eine effiziente Zielerreichung sicherstellt. Die konkrete Anforderung an die Führungskraft ist es, in Abhängigkeit von den Erfordernissen der jeweiligen Situation flexibel zwischen beiden Führungsweisen zu wechseln. Das ist mit Sicherheit eine große Herausforderung, zumal noch nicht einmal der transformationale Führungsansatz flächendeckend in der Praxis gelebt wird.

Diese skizzierten Lösungsansätze sind per se positiv zu bewerten. Aber auch hier zeigt sich, dass das Neue das Alte überwältigt – und das mit rasender Geschwindigkeit.

Was ist nun für den individuellen Unternehmenskontext der richtige Weg? Es ist elementar herauszufinden, was zur individuellen Situation und zukünftigen Ausrichtung des Unternehmens passt. Wie kann ich diese theoretischen Modelle in die Praxis umsetzen, ohne das Vorhandene komplett in Frage zu stellen und somit Chaos auszulösen? Muss man alles verändern, um weiterhin erfolgreich zu sein, werden sich hier viele Unternehmenslenker deutscher Weltmarkführer und insbesondere der inhabergeführte Mittelstand fragen. Die Antwort ist: nein, nicht alles.

Die vordringliche Frage ist doch, ob die individuelle unternehmerische Unternehmenskultur dazu einlädt, die wirklichen Herausforderungen ernsthaft anzugehen. Es braucht einen vertrauensvollen Dialog zwischen Mitarbeitern, Management und Unternehmensführung.

Anreizsysteme, die mit Druck und Kontrolle funktionieren, haben ebenso ausgedient wie die versuchte Formalisierung geistiger Tätigkeit. Es bedarf einer neuen Sichtweise – einer Gegenbewegung. Der Weg ist langwierig: Gewohntes wird in Frage gestellt und das verursacht Unsicherheit und Widerstand. Im politischen Kontext wird oft von einem „Aufwachen“ gesprochen oder von einem „Ruck“, der durch das Land gehen muss. Im wirtschaftlichen Kontext verhält es sich nicht anders: Die wesentlichen Faktoren für nachhaltigen Erfolg sind Veränderungsfähigkeit, Innovation, Agilität und ein verstärktes Miteinander.

Diese Einflüsse stellen vermehrt das Taylorsche Prinzip in Frage, das unsere Arbeitswelt im Zuge der Industrialisierung zunehmend formalisiert und auf maschinellen Output getrimmt hat. Viele haben es nie ge- oder bald verlernt agil und innovativ zu sein, da Kreativität, freies Denken und somit Ideengenerierung weder gefordert, noch gefördert wurden.

Man kann konstatieren, dass dieser Wandel in der breiten deutschen Unternehmenswelt nicht rasant umzusetzen sein wird. Die deutsche Unternehmens-DNA hat sich über Jahrzehnte manifestiert, da ist es offensichtlich, dass ein Wandel nicht von heute auf morgen passieren wird, wenngleich es schon vielfache Initiativen gibt, die genau in diese Richtung zeigen. In diesem notwendigen Change kommen – wie so oft - den sozio-emotionalen Faktoren eine wesentliche Rolle zu und damit ist die gelebte Führungskultur ein elementarer Bestandteil.

Ein vermeintlicher Widerspruch wir hier sichtbar: Kulturänderung dauert bekanntlich und widerspricht zumindest in Punkto Schnelligkeit dem Agilitätsstreben. Was bitte steckt hinter „Agilität“? Agilität – Ein allgegenwertiger Begriff, der über uns schwebt und berechtigte Fragen aufwirft. Ist es Mode? Ein Zauberwort? Etwa gar ein Unwort?

Was heißt es, als Unternehmen agil zu sein? Was wird unter Agilität verstanden?

Es ist mehr als nur ein Schlagwort, es ist eine innere Haltung, die ein großes Umdenken in bestehenden Denkweisen initiiert hat und weiter tun wird. Es ist eine gelebte Einstellung, die nicht nur für die Entwicklungsfähigkeit und Effektivität von Organisationen maßgeblich ist, sondern natürlich auch für das positive Leben jedes Einzelnen. Hier findet sich auch eine konkrete Anforderung an die Mitarbeiter: Es reicht nicht mehr, sich als Mitarbeiter die eigene Position im Rahmen der Konzern- und Unternehmenspolitik zu sichern. Das permanente Streben nach Individualisierung und Entsolidarisierung ist kontraproduktiv. Die Komplexität der Herausforderungen verlangt nach mehr Gemeinschaft als Vereinzelung.

Sehr facettenreich ist also das Begriffsverständnis. Nach vielen Projekten, in denen ich mich nun in engem Austausch mit Kunden mit dem Thema befasst habe, komme ich zu folgendem Schluss: Agilität wird oftmals mit Schnelligkeit und Flexibilität übersetzt. Gut und schön, das ist in Teilen richtig. Ein wesentlicher Faktor im organisationalen Entwicklungskontext fehlt allerdings: Die Stabilität oder anders übersetzt die Widerstandsfähigkeit, die Resilienz der vorhandenen inneren Ordnung der Organisation. Ich spreche von organisationaler Resilienz.

Ein Merkmal von Agilität ist es, schnell und richtig auf dynamische Umweltbedingungen zu reagieren und Veränderungsprozesse anzustoßen. Steht das im Widerspruch zur organisationalen Resilienz? Nein, im Gegenteil - das ist die Lösung. Warum?

Erfolgreich ist nur der, der den Wandel, die Transformation im eigenen individuellen Kontext erfolgreich antizipiert, ohne die organisationale Resilienz zu gefährden.

Das abwägende Momentum ist entscheidend. Der kühle Kopf. Welche Methoden und Instrumente sind schon vorhanden? Was hat sich bewährt und kann weiterentwickelt werden? Beantworten Sie sich zunächst diese Fragen und verfallen Sie nicht in einen unstrukturierten Implementierungswahn!

Es sollte nicht per se das Vorhandene in Frage gestellt werden. Analysiert man die aktuellen Agilitäts- und Innovationskonzepte findet man oft viel Bekanntes. Vieles ist nicht neu! Es ist neu verpackt! Wenn man diese Erkenntnis erlangt, gewinnt man Klarheit und reduziert die Unsicherheit im Umgang mit „neuen“ Entwicklungskonzepten.

Das Konzept der organisationalen Resilienz meint die innere Anpassungsfähigkeit eines Unternehmens, die durch das effektive Zusammenwirken von Organisation, Führungskräften und Mitarbeitern getragen wird und so die äußere Anpassungsfähigkeit des Unternehmens sichert. Erfolgreiche Anpassung gelingt also nur, wenn Unternehmen ihre Anpassungsfähigkeitsfähigkeit stärken, ohne die Stabilität ihrer inneren Ordnung zu schwächen und somit den Erfolg gefährden!